Kleines Verkehrsmittel mit großer Zukunft

Mit zunehmendem Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein und angesichts massiver, vom automobilen Individualverkehr geschaffener, Verkehrsprobleme erobern zweirädrige Verkehrsmittel nach und nach die Städte. Wie sich die Infrastruktur dieser neuen Fahrradmobilität anpasst, erfahren Sie in unserem Beitrag.

Vor 200 Jahren stellte der Badener Erfinder Karl Drais sein erstes Laufrad vor, den Prototypen aller mit Muskelkraft bewegten Verkehrsmittel – Urahn aller Fahrräder. Mit solchen Laufrädern lernen Kinder heute noch das Balancieren auf zwei Rädern, und wir lernen umzudenken und eine Entwicklung zu korrigieren, die das Fahrrad vom Massenverkehrsmittel, das es bis in die 1950er Jahre einmal war, zum bloßen Freizeitgefährt marginalisiert hat.

Der Siegeszug des Automobils hat beinah vergessen lassen, welche Bedeutung die Draissche Erfindung für die Entwicklung der modernen Stadtgesellschaften hatte, indem sie Jedermann und Jederfrau erschwinglichen Zugang zu individueller Mobilität bot. Die autogerechte Topografie unserer Städte hat die Verdrängung des Fahrrads geradezu zementiert, zu deren funktionaler Fragmentierung und teilweise zu deren Verödung geführt.

Mit zunehmendem Umwelt- und Gesundheitsbewußtsein und angesichts massiver, vom automobilen Individualverkehr geschaffener, Verkehrsprobleme erobert das Fahrrad jedoch nach und nach wieder die europäischen Städte. Fahrradfreundliche Kommunen wie Kopenhagen oder Amsterdam gelten an nachhaltiger Mobilität orientierten Verkehrs- und Stadtplanern vielerorts als Ideal, das allerdings nur mit erheblichen Investitionen in Radwegenetze und öffentlichen Abstellanlagen zu erreichen scheint. Aus städtebaulicher Sicht eröffnen Verkehrskonzepte, bei denen die Interessen aller Verkehrsteilnehmer berücksichtigt sind, die Aussicht auch auf eine insgesamt höhere Lebensqualität in den Städten.

Infrastruktur passt sich an

Das zähe Ringen von Bürgern und gutorganisierten Fahrradlobbyisten führt allmählich zu einem Umdenken der politischen Entscheidungsträger „von unten nach oben“ und quer über die Parteigrenzen hinweg. Um eine fahrrad-freundliche Infrastruktur zu schaffen, sind Kommunen und Länder auf die Unterstützung des Bundes angewiesen, und der scheint dies mehr und mehr zu verstehen: So investiert der Bund im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) mittlerweile 100 Millionen Euro jährlich und beteiligt sich an Kampagnen, die das Radfahren in breiten Bevölkerungskreisen (wieder) populär machen sollen.

Der Radverkehrsanteil in Stadt und Land soll laut aktuellem NRVP bis auf 15 Prozent im Jahr 2020 ansteigen – ein nicht unbedingt ehrgeiziges Ziel, dessen Verwirklichung überdies nicht gesichert sei, bemängeln Verkehrsexperten. Das Potenzial sei eher bei 40 Prozent und mehr anzusiedeln und das nicht nur in Dänemark oder den Niederlanden: Bis zum Einsetzen des Autobooms in den Sechzigern habe der Anteil auch in Deutschland etwa in dieser Größenordnung gelegen, gibt der wissenschaftliche Verkehrsexperte Dr. Heiner Monheim zu bedenken.

Fahrradfachverbände fordern mindestens eine Verachtfachung der Bundesmittel sowie eine Reihe von Maßnahmen und Reformen, mit denen die Umetzung von Projekten, die Fahrradmobilität auf breiter Front, sichergestellt und beschleunigt werden soll, unter anderem die ressortübergreifende Steuerung aller Radverkehrsthemen in den verschiedenen Ministerien.

Die Fahrrad-Renaissance

Während sich die Politik zögerlich neu orientiert, entdeckt die Gesellschaft das Fahrrad und seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten vom Tourismus bis hin zur urbanen Logistik neu. Fahrradverleihe, die es bereits in allen größeren Städten gibt, ergänzen die autolose Mobilität und machen dort, im Verbund mit Car-Sharing-Angeboten, den Besitz eines eigenen PKWs überflüssig. Verbesserungen und Innovationen bei Ausstattung und Zubehör sowie elektrische Hilfsantriebe, die auch Untrainierten über jeden Berg helfen, beleben die Fahrradbranche, schaffen und sichern hunderttausende Arbeitsplätze.

Umweltskandale sind bei diesem emissionslosen Verkehrsmittel so gut wie ausgeschlossen, und die international vereinbarte Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels, wird ohne eine deutliche Ausweitung der Fahrradmobilität bloße Vision bleiben. Das Interesse an einer nachhaltigeren Gestaltung unserer Produktions- und Lebensweise dürfte daher zunehmend auf das grüne Image des Fahrrads einzahlen.

Ungebrochene Begeisterung

200 Jahre nach seiner Erfindung begeistert das Fahrrad noch immer. Rund 82 Prozent der deutschen Bevölkerung nutzen es nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums regelmäßig, und das „kleine“ Verkehrsmittel hat sicherlich auch in Deutschland, in dem Fahrrad und Automobil erfunden wurden, eine große Zukunft. Voraussetzung dafür ist, dass es gelingt, seine Nutzung im Alltag attraktiver zu machen. Dann kann es sich in einem zukunftsfähigen Mobilitätsmix behaupten und seine einzigartigen Vorzüge geltend machen.