Fabrikplanung heißt Entscheidungen treffen

Dipl.- Ing. (FH) Hans Reinerth ist Projektleiter am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart. Reinerth beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Methoden der Fabrikplanung und berät Unternehmen. Welche Faktoren bestimmen die Planung, und worauf sollte man als Fabrikplaner in Zeiten der Industrie 4.0 bei einem Projekt achten? Unser Interview.

Vor welchen Herausforderungen stehen Fabrikplaner heute?

„Kürzere Produktlebenszyklen, veränderte Technologien – das spielt bei der Fabrikplanung eine große Rolle. Kernthema ist dabei das Zusammenspiel von Produkten, Technologien und Gebäuden, wobei die Gebäude ja auch nach den Produktausläufen noch erhalten bleiben und funktionieren müssen. Dieses Zusammenspiel wird in der Zukunft eine noch größere Herausforderung darstellen. Gebäude und Anlagen müssen ständig an immer neue Marktanforderungen angepasst werden. Als Fabrikplaner stehen wir vor dem Paradox, dass wir für die Fertigung von Produkten planen müssen, die es zum Zeitpunkt unserer Planung noch gar nicht gibt. Fabrikplanerische Entscheidungen sind meistens teuer, schwer umkehrbar und wirken lange – das sind die drei Punkte, die schon immer kritisch waren, und das hat sich bis heute nicht geändert.“

Gibt es ein einheitliches Paradigma und wie ist es entstanden?

„Seit etwa zehn Jahren spielen die Themen Nachhaltigkeit und Wandlungsfähigkeit eine zentrale Rolle. Es geht um eine ganzheitliche Betrachtung von Prozessen und Abläufen, Gebäuden und Flächen sowie um die Organisation. Bei Organisationsthemen steht zunehmend der Faktor Mensch im Mittelpunkt. Die Erkenntnis wird immer wichtiger, dass die Fabrik nicht nur ein Ort ist, an dem sich Menschen acht täglich Stunden zwischen dem Ein- und Ausstempeln aufhalten. Was dazwischen passiert, ist auch sehr wichtig: Atmosphäre, Kommunikation, Wohlfühlen. In Deutschland haben wir es immer mehr mit auftragsbezogener Arbeit zu tun, und die stellt besondere Anforderungen an die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Abteilungen.“

Was bedeuten Flexibilität und Wandlungsfähigkeit?

„Fabrikplanung heißt Entscheidungen treffen. Wir legen stets ein Maximum fest, und wie das dann tatsächlich genutzt wird, ist ganz unterschiedlich. Auch über die Anzahl der Mitarbeiter kann der Fabrikplaner in gewissen Bereichen steuern, wie viel in einer Fabrik produziert wird. In der Literatur finden sich viele mögliche Prinzipien die, bei richtiger Anwendung, zu gewünschten Verbesserung führen können. In der Praxis haben sich einige wenige Ansätze bewährt, die im Rahmen jeder Fabrikplanungsaufgabe hinterfragt werden können. Mobilität, also die Befähigung, Arbeitsplätze, Fertigungsstraßen oder auch geschlossene Produktionsbereiche räumlich an neuen Standorten neu aufzustellen, gehört sicherlich dazu.“

Welche Fehler werden immer noch gemacht und wie lassen sie sich vermeiden?

„Eine Hauptfehlerquelle besteht in einer zu kurzfristigen Orientierung und darin, dass man die Aufgabe falsch formuliert. Es kommt öfters vor, dass eine neue Anlage ganz schnell irgendwo im Betrieb aufgestellt werden soll, dabei aber die Voraussetzungen und Konsequenzen nicht genügend bedacht werden. Wir müssen den Blick immer erweitern und alle Betroffenen mit einbeziehen. Das Wissen der Mitarbeiter ist sehr wichtig, und um es nutzen zu können, muss man die Leute bei der Planung und der Kommunikation mit ins Boot holen. Auch sollte man auf eine Idealplanung nicht verzichten, zum Beispiel, um den Materialfluss optimieren zu können. Damit erkennt man Vor- und Nachteile frühzeitig.“

Sie empfehlen eine Planung von innen nach außen. Wie sieht das konkret aus?

„Man plant immer Produktionsabläufe, d.h. Prozesse, mit allen erforderlichen Anlagen, Betriebsmitteln, Lagereinrichtungen, Fördermitteln und so weiter. Ziel ist es, eine ideale Aufstellung zu finden, die den Produktionsablauf optimal unterstützt.  Außen, das ist die Hülle, die den Produktionsablauf unterstützt. Hier spielen auch die Aspekte Energieeffizienz und Umweltschutz eine Rolle. Im Idealfall stellt der Architekt dann die Wände um unsere Flächen. Das Ergebnis ist meistens ein Kompromiss.“

Wie lassen sich Flächen und Wege optimieren?

„Für die Flächenoptimierung gibt es klare Vorgehensweisen. Man muss aber unterscheiden zwischen Produktionsflächen, Lagerflächen und Sozialflächen. Alle Produktionsflächen werden von den Anlagen her geplant, sie geben die Flächen vor, die erforderliche Versorgungsinfrastruktur und die Umgebung. Bei der Logistik spielen die Behälter, deren Dimensionen und die Beförderungstechnik eine Rolle. Danach und anhand gesetzlicher Vorgaben legt man die Wege aus. Die Sozialflächen werden anhand der Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung festgelegt. Die Büroplanung ist komplizierter, hier gibt es die Maßzahl von 10 Quadratmetern je Mitarbeiter, hinzukommen weitere Besprechungsräume, Kommunikationsinseln et cetera.“

Welche Bedeutung haben modulare und mobile Raumsysteme?

„Aus meiner Erfahrung kann ich drei Punkte nennen: erstens, als Einhausungen von Anlagen, die durch Schall oder Stoffemissionen andere Bereiche beeinflussen können. Zweitens können Hallenhöhen durch Aufständerungen besser genutzt werden. Hier finden C- und Kleinteile ihren Platz, die auf einer Bühne gelagert werden können. Montagetische kann man darunter aufstellen. Drittens flexible Büros. Das ist ein wichtiger Punkt, da hier Schnittstellen zwischen Produktion und Entwicklung, Führung und operativer Umsetzung geschaffen werden. Allerdings sollte man bei höher gelegenen Meisterbüros darauf achten, dass sich niemand am Boden beaufsichtigt fühlt. Darüber hinaus lassen sich solche Systeme sehr gut für Erweiterungen nutzen, und Versuchslabore können leicht an die Produktionslinie gebracht werden.“

Wie wichtig ist der Kommunikationsfluss und wie kann man ihn fördern?

„Kommunikation ist ein ganz wichtiger Punkt – wo treffen sich die Leute unter welchen Umständen, das ist für uns Fabrikplaner immer eine interessante Frage. Mit mobilen Raumsystemen lassen sich sehr gut Orte für Stehungen realisieren, wo Mitarbeiter sich jeden Tag für 15-20 Minuten darüber austauschen, welche Aufträge vorgezogen werden müssen, wo es Fehlteile gibt und so weiter. Dafür sind natürlich ruhige Räume erforderlich.“

Was ändert sich mit dem Konzept der Industrie 4.0?

„Fabrikplanung muss auch in Zukunft nach einer Systematik vorgehen, wie sie beispielsweise in der VDI-Norm 5200 festgelegt ist. Auf einige Tendenzen müssen wir allerdings achten: Das Industrie 4.0-Konzept wird durch kundenspezifische Beschaffungsmöglichkeiten zu einer Reduzierung der Lagerbestände vor Ort führen, nur so lässt sich die angestrebte Variantenvielfalt der Produktion erreichen. Mehr flexible automatisierte fahrerlose Transportsysteme (FTS) sind eine zusätzliche Stellschraube, die Veränderungen in der Logistik bedingt. Welche Auswirkungen aus der zukünftigen Mensch-Roboter Schnittstelle entstehen, können wir heute nur sehr schwer einschätzen. Auch werden die kommunikativen Anforderungen noch weiter steigen. Alles wird flexibler werden, aber wir werden nicht täglich Maschinen verschieben und Flächen verändern.“