Komfortabel, sicher und barrierefrei
Fahrgastunterstände bieten nicht nur Schutz vor Wind und Wetter. Sie informieren auch über Verbindungen, bieten Sitzgelegenheiten und sie sorgen für geordnete Verhältnisse an Haltestellen von Bussen und Bahnen – im Idealfall barrierefrei. Ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen sie dann am besten, wenn bei ihrer Planung und Aufstellung einige Dinge beachtet werden. Gerhard Wirth, Experte für die Planung von Straßenbahn- und Bushaltestellen bei der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG, erklärt, worauf es dabei ankommt:
Stand der Technik
Auch für Haltestellen und Fahrgastunterstände gilt, dass Normen, Richtlinien und Empfehlungen den aktuellen Stand der Technik beeinhalten und jedermann zur Anwendung freistehen, ohne zunächst rechtlich verbindlich zu sein. Nicht alles ist hier gesetzlich geregelt – für die Landesbauordnung NRW sind Fahrgastunterstände des öffentlichen Personennahverkehrs oder der Schülerbeförderung sogar genehmigungsfreie Vorhaben.
Dennoch beschäftigen sich mit Errichtung der Haltestellen und Fahrgastunterstände zahlreiche Dokumente, auf die Planer in der Praxis zurückgreifen oder zurückgreifen sollten: So etwa die Empfehlungen für Anlagen des öffentlichen Personennahverkehrs (EAÖ), die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA), die Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen (EAE), die Verordnungen über den Bau und Betrieb von Bushaltestellen und Straßenbahnen (BO-Kraft und BO-Strab), Vorschriften vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), die Straßenverkehrsordnung (StVO) und viele andere mehr.
Die Einrichtung einer Bushaltestelle bedarf grundsätzlich der Zustimmung der örtlichen Straßenverkehrsbehörde, und der behindertengerechte Niederflurausbau muss zusätzlich von der zuständigen politischen Bezirksvertretung beschlossen werden. Die Einrichtung einer Straßenbahnhaltestelle ist noch komplexer, hier ist zusätzlich die Technische Aufsichtsbehörde (TAB) einzuschalten. Eventuell sind diverse Gutachten zu erstellen, z. B. zum Lärmschutz bei Gleisverschwenkungen, oder es ist sogar ein Planfeststellungsverfahren einzuleiten.
Komplexer Anforderungskatalog
Aus den genannten Quellen ergibt sich ein komplexer Anforderungskatalog an die ideale Haltestelle: Diese sollten nach Möglichkeit mit einem Wetterschutz ausgestattet sein, wenn die örtlichen Gegebenheiten es zulassen.
Zunächst jedoch ist auf ausreichende Gehwegbreiten und Durchgangshöhen zu achten. Die Unterkante des Fahrgastunterstanddaches muss mindestens 2,25 Meter über der Oberkante des Bodens liegen, zusätzlich ist bei gradliniger Anfahrt ein Sicherheitsabstand von mindestens 0,5 Metern zwischen dem Dach und der senkrecht verlängerten Bordsteinkantenlinie einzuhalten. Durchgänge zwischen der Bahn- oder Bussteigkante und den Seitenwänden des Fahrgastunterstandes sollten mindestens 1,5 Meter breit sein. Bei Bushaltestellen reicht ein Meter, wenn hinter dem Fahrgastunterstand mindestens 1,5 Meter Platz für einen Gehweg vorhanden ist. Die Haltestellenbreite muss mindestens 2,5 Meter betragen, um die erforderlichen Abstände einzuhalten. Für die Aufenthaltsqualität im Haltestellenbereich gilt als Faustregel eine Fläche von 1,5 Quadratmetern pro Fahrgast, sonst wird’s unangenehm eng oder sogar gefährlich.
Planer sollten ferner darauf achten, dass Radwegeflächen nicht vor dem Fahrgastunterstand vorbeiführen. Auch die Lage von Hauseingängen und der rückliegenden Fensterflächen ist zu berücksichtigen. Hat der abbiegende Fahrzeugverkehr aus Ausfahrten bzw. Seitenstraßen freie Sicht? Die Lage der unterirdischen Versorgungsleitungen ist genauso zu klären wie die Eigentumsverhältnisse der Grundstücke, auf denen man bauen will.
Das Ideal
Richtig platziert, verfügt der ideale Fahrgastunterstand natürlich auch über Sitzgelegenheiten, am besten aus witterungsbeständigem, wartungsfreundlichem und vadalismussicherem Material. Einzelsitze bieten mehr Komfort als Bänke. Für einen als sicher empfundenen Aufenthalt sorgt eine elektrische Beleuchtung, die entweder per Stromanschluss oder mit einer Solaranlage gespeist wird.
Herausforderung Barrierefreiheit
Das novellierte Personenbeförderungsgesetz (PBefG) sieht vor, dass alle Haltestellen in Deutschland bis zum Jahr 2022 behindertengerecht und barrierefrei ausgebaut sein sollen. Eine enorme, nicht zuletzt auch finanzielle Herausforderung: In Deutschland gibt es 82 Großstädte mit über 100.000 Einwohnern plus ca. 12.000 Gemeinden. Die Anzahl der Haltestellen lässt sich nur schätzen und wird wahrscheinlich bis zu einer Million betragen. Stark vereinfacht ist für den behindertengerechten und barrierefreien (niederflurigen) Ausbau einer Bushaltestelle mit Kosten von mindestens 20.000 Euro zu rechnen, der Ausbau von Straßenbahnhaltestellen ist erheblich teurer.
Aber was heißt barrierefrei? Rollstuhlfahrer brauchen ein Bewegungsfeld von 1,50 mal 1,50 Metern. Damit ungesicherte Rollstühle oder Kinderwagen nicht auf Fahrbahnen oder Gleise rollen können, sollte der Boden eine Querneigung von zwei Prozent aufweisen, die von der Fahrbahn bzw. von dem Gleis wegführt. Das anzustrebende Spaltmaß, horizontal und vertikal, zwischen Fahrgastwartefläche und Einstiegsbereich sollte fünf Zentimeter nicht überschreiten. Haltestellen sollten über Rampen erreichbar sein, deren Maximalneigung sechs Prozent nicht übersteigt und die mindestens mit 2,40 Meter breit sind. Übersteigt die Rampenlänge sechs Meter, sind zwischendurch Ruhepodeste von mindestens 1,50 Meter Länge anzulegen.
Für Blinde- und stark sehbehinderte Personen empfehlen sich sogenannte taktile Leiteinrichtungen nach DIN 32984. Die Planung ist mit den örtlichen Behindertenverbänden abzustimmen, dies gilt insbesondere bei von Staat und Land geförderten Maßnahmen. Was oft übersehen wird: Bushaltestellen sind mit einer ausreichenden „Verziehungsstrecke“ in einer Geraden anzulegen. Nur wenn die Anfahrbarkeit gewährleistet ist, und das Fahrzeug tangential zum Bord steht, können geringe Spaltmaße an den Türen eingehalten werden. Straßenbahnhaltestellen sind möglichst nicht in einem Gleisbogen anzulegen, um auch hier die geforderten Spaltmaße einhalten zu können. Macht man das nicht, gibt es Probleme, die eigentlich nicht sein müssen.
Das alles macht deutlich: Der Weg zur idealen Haltestelle, die komfortabel, sicher und barrierefrei ist, führt über sorgfältige Planung und erfordert, wie jedes Bauprojekt, ausreichende finanzielle Mittel.