Wie Berufstätige in Deutschland pendeln

Immer mehr Berufstätige in Deutschland pendeln täglich zu ihrer Arbeitsstätte und wieder zurück – und sind dabei zunehmend genervt durch überfüllte Straßen, Staus, schlechte Bus- und Bahnverbindungen oder fehlende Radwege. Eine Woche lang beschäftigten sich die heimischen Medien mit dem Thema, nachdem eine Anfang März veröffentlichte Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn einen neuen Rekordwert genannt hatte. Demnach sind 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in Deutschland 2016 zum Job in eine andere Gemeinde gefahren – im Jahr 2000 waren es noch „lediglich“ 53 Prozent.

Zugenommen hat laut BBSR auch die durchschnittlich zurückgelegte Pendelstrecke von 14,6 Kilometern auf 16,8 Kilometer 2015. Eine Zahl, die zustande kommt, wenn alle Strecken miteinander verrechnet werden. Ein differenziertes Bild liefert eine Auswertung des vom Institut für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erstellten Deutschen Mobilitätspanels (MOP): demnach legte im Berichtszeitraum Herbst 2015 fast die Hälfte aller Berufspendler (48 Prozent) einfache Strecken von weniger als zehn Kilometern zurück, 22 Prozent zwischen 10 und weniger als 20 Kilometern. Laut BBSR beträgt die Zahl der Fernpendler mit einem einfachen Arbeitsweg von mehr als 150 Kilometern derzeit rund 1,3 Millionen. Dennoch findet Pendeln überwiegend im Nahverkehrsbereich statt: Nur 6 Prozent der Pendler legen vom Wohn- zum Arbeitsort 50 Kilometer und mehr zurück (siehe Kasten)

Kurze Strecken, lange Wege

Staus durch überfüllte Straßen und Baustellen, Verzögerungen im Bus- und Bahnverkehr, schlechte Verkehrsanbindungen sorgen jedoch dafür, dass selbst kurze Strecken oft nur im Schneckentempo zurückgelegt werden können. „Deutschlands Pendler haben die Schnauze voll!“ befand deshalb die Bildzeitung in wutbürgerlicher Diktion und lieferte als Beleg gleich eine Zeitungsseite kaleidoskopisch gefüllt mit Schilderungen Betroffener.

Fest steht, dass die Zahl der Personen mit längeren Pendelzeiten seit Jahren wächst: 1991 brauchten nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden 20,4 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland 30 Minuten oder länger für die einfache Wegstrecke zur Arbeit, mittlerweile sind es schon 25,9 Prozent.

Jeder zwanzigste Erwerbstätige pendelt sogar eine Stunde oder länger. Zeit, die sie oder er auch zur Erholung brauchen könnte. Hinzu kommen unvorhersehbare Staus oder andere Verspätungen durch unpünktliche Busse und Bahnen. Zeitnot und damit verbundener Stress stellen nach Ansicht vieler Mediziner eine ernstzunehmende Gefährdung der Gesundheit dar. Eine vielzitierte Studie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass Pendler ein erhöhtes Risiko haben sollen, psychisch zu erkranken.

Hilfe vom Staat?

Aufgeschreckt durch das breite Medieninteresse meldete sich denn auch die Bundesregierung zu Wort: „Wir wollen Unternehmen dabei unterstützen, ihren Mitarbeitern bessere Mobilitätsbedingungen zu bieten”, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks den Zeitungen der Funke Mediengruppe, und nannte in diesem Zusammenhang Jobtickets, Carpooling, Fahrradstellplätze oder flexiblere Homeoffice-Angebote.

Zuvor hatte Berlin bereits angekündigt, den schnellen Fahrradverkehr für Berufspendler mit weiteren neuen Radschnellwegen ausbauen zu wollen. Erstmals fördere der Bund im laufenden Jahr die Radschnellwege mit zusätzlichen 25 Millionen Euro, sagte Verkehrs-Staatssekretär Norbert Barthle (CDU) der Presse, der Bund habe seine Mittel für Radwege von 60 Millionen auf insgesamt 100 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt.

Denkt die Bundesregierung um? Nach wie vor werde die Verantwortung für die Steigerung des Radverkehrsanteils allein Ländern und Kommunen überlassen, kritisiert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) und wirft dem Bundesverkehrsminister „fehlendes politisches Engagement pro Fahrrad“ vor. Für große Teile der Verkehrsinfrastruktur sind in hierzulande die Kommunen verantwortlich. Voraussetzung für einen Umstieg möglichst vieler Berufstätiger aufs Rad dürfte sein, dass sie gemeinsam mit den Verkehrsunternehmen für sichere und schnelle Radwege und ausreichende Parkmöglichkeiten sorgen.

Eine kürzlich veröffentlichte repräsentative Umfrage des Bundesumweltministeriums bestätigt die Bedeutung der Infrastruktur wie Radwegebeläge, Beschilderungen, Routenführungen oder Radwegenetze. In Großstädten mehr wünschen sich 40 Prozent der Befragten auch sichere Abstell-/Unterstellmöglichkeiten. Gleichzeitig legt die Umfrage nahe, dass 60 Prozent der Bevölkerung in Städten über 100.000 Einwohnern und sogar 66 Prozent in Städten zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnern grundsätzlich bereit sind, häufiger mit dem Fahrrad zu fahren.

Steuerlich gefördert

Da die meisten tagtäglich von Berufspendlern zurückgelegten Strecken weit weniger als insgesamt 40 Kilometer betragen, bieten sich Fahrräder, Pedelecs und E-Bikes tatsächlich als ernsthafte Alternative zum Motorisierten Individualverkehr (MIV) an. Längere Strecken lassen sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln kombinieren, vorausgesetzt, die Verbindungen stimmen.

Seit 2012 wird die Anschaffung von Fahrrädern durch den Arbeitgeber steuerlich gefördert: Die „1%-Regel“ aus dem sogenannten Dienstwagenprivileg gilt in ähnlicher Weise auch für Fahrräder und E-Bikes. Mitarbeiter können ihr neues Fahrrad, Pedelec oder E-Bike über die monatliche Gehaltsabrechnung per Gehaltsumwandlung finanzieren und damit bares Geld sparen. Dabei sind Diensträder sogar bessergestellt als Dienstwagen: Der Anfahrtsweg zur Arbeit per Rad muss nicht versteuert werden.

Mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren ist auf jeden Fall gesünder: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Fahrradpendler deutlich weniger Krankheitstage vorweisen als sonstige Verkehrsteilnehmer, insbesondere MIV-Nutzer (siehe auch unseren Beitrag Weshalb Mitarbeiter aufs Rad gehören).

Schätzungen zufolge nutzen zwei Millionen Deutsche täglich das Fahrrad für den Weg zur Arbeit. Es könnten mehr sein.

Entfernung vom Wohnort zum Arbeitsort Anteil Pendler mit der jeweiligen Entfernung
0 bis unter 10 km 48%
10 bis unter 20 km 22%
20 bis unter 30 km 12%
30 bis unter 40 km 8%
40 bis unter 50 km 4%
50 km und mehr 6%

Mittlere Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort: 16,4 km. Nur 91% der MOP-Stichprobe mit Pendelwegen (definiert als Wege mit dem Zweck Arbeit, Ausbildungswege zu Hochschule, Ausbildungsplatz, Schule sind nicht berücksichtigt) konnte für diese Auswertung berücksichtigt werden; bei 9% der Stichprobe mit Pendelwegen war eine Aussage nicht möglich, da sie entweder in der Woche nie direkt von zu Hause zum Arbeitsplatz gependelt sind oder sehr unterschiedlich entfernte Arbeitsorte aufgesucht haben. Quelle: Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Verkehrswesen